"Der Weg zum Medizinprodukt - Zusatz": Abgrenzung von Medizinprodukten zu Arzneimitteln im europäischen Rechtsraum

Wir haben uns in den letzten beiden Blogartikeln mit der Frage beschäftigt, ob Ihr Produkt ein Medizinprodukt darstellt oder nicht. Diese Frage möchten wir nun ein letztes Mal aufgreifen und speziell auf die Unterschiede zwischen Arzneimitteln und Medizinprodukten eingehen. Dies ist zugegebenermaßen für Hersteller medizinischer Software in vielen Fällen nicht unmittelbar relevant – im Sinne der Vollständigkeit möchten wir dennoch dieses spannende und heiß diskutierte Thema kurz beleuchten. Die Abgrenzungsthematik zwischen diesen Produktgruppen hat in den letzten Jahren viele Hersteller, Behörden und Gerichte beschäftigt und dazu geführt, dass auf europäischer Ebene eigens eine Arbeitsgruppe unter anderem zu diesem Thema gegründet wurde (Medical Devices Expert Group on Borderline and Classification). An dieser Stelle möchten wir auch gleich auf ein enorm wertvolles Dokument dieser Arbeitsgruppe verweisen, welches unter anderem einige Beispiele aus diesem Grenzbereich auflistet (Link). Zusätlich existiert ein eigenes MEDDEV Dokument zu diesem Thema. Einige interessante Fälle aus diesen Berichten werden wir am Ende des Artikels aufgreifen.

Kehren wir aber vorerst zurück zur Definition eines Medizinprodukts. In Hinblick auf die Abgrenzung zu Arzneimitteln ist vor allem der letzte Absatz von besonderem Interesse:

[…] deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

Zerlegen wir nun diesen Satz in die einzelnen Bestandteile:

  Bestimmungsgemäß:
  Deutet darauf hin, dass die Zweckbestimmung, die Sie als Hersteller definieren, für die Abgrenzung relevant ist. 
  Hauptwirkung:
  Definiert in diesem Zusammenhang, dass der hauptsächliche Beitrag zur Funktionsweise Ihres Produkts vom Medizinprodukt (und nicht 
  durch das Arzneimittel) kommen muss.
  Pharmakologisch: 
  Hier wird es besonders spannend – dieser Ausdruck bedeutet, dass eine Wechselwirkung zwischen der fraglichen Substanz und zellulären
  Bestandteilen stattfindet.
  Immunologisch: 
  Umfasst jene Wirkungen, welche eine spezifische Immunreaktion im oder am Körper hervorrufen.
  Metabolisch:
  Bedeutet, dass die Substanz eine Veränderung von normalen chemischen Prozessen hervorruft. Die Veränderung kann hierbei die
  Initiierung, das Ende oder die Veränderung der Geschwindigkeit dieser Reaktion sein. Die betroffenen chemischen Reaktionen tragen
  hierbei zur normalen Körperfunktion bei.
  [...] deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann:
  Ist ergänzend zur Hauptwirkung zu lesen. Hierbei wird für Medizinprodukte die Möglichkeit eingeräumt, dass ein 
  Arzneimittel durchaus zur Wirkung des Produkts beitragen kann, aber eben nicht hauptsächlich.

Um jetzt allerdings diese, zugegebenermaßen komplexe, Definition verständlicher zu machen, möchten wir einige Beispiele aufgreifen:

Beispiel 1: Heparinbeschichteter Katheter
Katheter zum kontrollierten Abfluss von Flüssigkeiten, beispielsweise von Urin, können innenseitig mit Heparin beschichtet sein, um
kritische Kristallisationsprozesse zu verhindern. Die Hauptwirkung ist der kontrollierte Abfluss der Flüssigkeit, deshalb wird das
Produkt als Medizinprodukt eingestuft.
Beispiel 2: Augentropfen zur Befeuchtung des Augenvordergrunds
Augentropfen, welche hauptsächlich dazu dienen, um die wässrigen Bestandteile des Tränenfilms zu stärken oder Kontaktlinsen zu
befeuchten, sind als Medizinprodukte anzusehen, da der Effekt durch rein physikalische Vorgänge erreicht wird, d.h. ohne
physiologische Interaktion.
Beispiel 3: Knochenzement mit Antibiotika
Ist die Zweckbestimmung dahingehend ausgerichtet, dass die Hauptwirkung die mechanische Fixation einer Endoprothese ist, ist das
Produkt als Medizinprodukt anzusehen, da das Antibiotika nur unterstützend wirkt und mögliche Infektionen verhindern soll.

Sollten die zahlreichen Beispiele in den erwähnten Dokumenten keinen eindeutigen Aufschluss über die Qualifizierung Ihres Produkts liefern, besteht immer noch die Möglichkeit der Kontaktaufnahme mit dem Abgrenzungsbeirat des Gesundheitsministeriums.

Soweit also ein kurzer Ausflug in diesen spannenden Bereich. Im nächsten Blogartikel wollen wir aber natürlich wieder zu unserem Kernthema zurückkehren. Wir werden dabei die Risikoklassifizierung von medizinischer Software beleuchten, welche unter anderem entscheidend für das Verfahren zur Bewertung der Konformität Ihres Produkts ist.

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